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2017-04-10 13:26:00

Bericht #7 - Reisen und argentinische Geschichte

Hallo liebe Heimat, sicherlich habt ihr alle ganz gespannt auf die Fortsetzung meines Blogs gewartet, um zu lesen, ob ich es denn letztendlich zur Previa geschafft habe. Die Antwort ist: leider nein. Ich wurde erst am Dienstagnachmittag entlassen, der offizielle UPD (= ultimo primer dia - letzter erste Tag) war jedoch am Sonntag. Und so hörte ich nachts von meinem Krankenhausbett aus die ausgelassenen Rufe und Schreie aller Abschlussklassen Rio Cuartos auf dem zentralen Platz. Jedoch ist alles etwas schief gegangen.

Erst einmal, dass am Montag gar nicht der letzte erste Schultag war, denn zum Anfang des Schuljahres streikten die Lehrer erst einmal am Montag und Dienstag, deshalb war die Party eigentlich sinnlos. Doch es war schon alles bezahlt und organisiert. Zweitens, war es am Ende gar nicht so schlimm, dass ich nicht dabei sein konnte, denn als meine Klassenkameraden an der Location ankamen, stand schon die Polizei vor der Tür und hatte alles gecancelt. Ja, auch in Argentinien ist der Alkoholkonsum von Minderjährigen nicht legal, gesellschaftlich zwar akzeptiert, aber illegal.

So liefen meine Freunde mit der Polizei von einer Party zur nächsten, die dann alle beendet wurden, um es demjenigen, der gepetzt hatte, heimzuzahlen. Am Dienstag war dann die eigentliche upd-Party, jedoch war ich noch etwas angeschlagen und bin nur am Mittwochmorgen aufgestanden um an den Feierlichkeiten in der Schule teilzunehmen. Wir betraten die Schule springend und singend, denn alle waren überglücklich, dass sie nun in der 6. Klasse – der Abschlussklasse – sind (Bild).

Alle sagen, die Abschlussklasse ist das beste Jahr des Lebens, denn „man ist nun schon groß“, hat aber noch keinen Stress mit der Uni oder der Arbeit, außerdem freuen sich alle auf den Egreso (siehe Blog vom Dezember) und die Reise nach Camboriu, Brasilien am Ende des Schuljahres, wo ich leider nicht dabei sein werde. Alle sparen auch schon fleißig Geld, denn in Argentinien können die Eltern das nicht einfach mal eben so bezahlen.

Den meisten reicht das Geld grade so bis zum Ende des Monats, da bleibt nicht einmal etwas für eine Versicherung, Notfallersparnisse oder Hobbys der Kinder übrig. Es kommt auch oft vor, dass meine Freundinnen nicht mit mir ins Kino gehen können, weil ihren Eltern das Gehalt noch nicht ausgezahlt wurde, und da reden wir hier zum Beispiel von 5 Euro(!).

Cordoba Capital

Erinnert ihr euch an Maike „2“? Sie hatte mich im Februar für ein paar Tage in Rio Cuarto besucht. Anfang März war sie mit ihrer Familie in Cordoba Capital, der Hauptstadt meiner Provinz Cordoba, weil ihre Gastbrüder dort studieren. Dorthin hatte sie mich übers Wochenende eingeladen. Also fuhr ich am Freitagnachmittag 3 Stunden mit dem Bus nach Cordoba Capital, wo sie mich abholte. Das erste was mir in der 1,4 Millionen Einwohner Stadt auffiel war, dass alles überall auf spanisch und englisch ausgeschildert war! Ansonsten ist es eigentlich wie jede Großstadt, viele Autos, viele Menschen, gute Einkaufsmöglichkeiten. Viel gemacht haben wir die kurze Zeit über eigentlich nicht, ich konnte aber wenigstens einen kleinen Eindruck der Hauptstadt meiner Provinz gewinnen. 

Dia de la memoria (24.03.)

Auch dieses Jahr gibt es wieder viele Feiertage und damit auch viele Actos (siehe Blog vom 27.10.), und da wir ja jetzt in der 6. Klasse sind, müssen wir immer etwas vorbereiten. So kommt es, dass wir mal eben 2 Tage lang, sehr zu meiner Freude, statt Physik und Mathe Basteltag machen, so wie in der Grundschule :D. Der dia de la memoria (Tag der Erinnerung) ist ein wunder Punkt in der Geschichte Argentiniens, denn er erinnert an die 30.000 desaparecidos (Verschwundenen), die während der Militärdiktatur 1976-1983 verschwanden.

Jeder kann selbst die Hintergründe auf Wikipedia nachlesen, ich werde es hier mal so erzählen, wie es mir aus argentinischer Sicht erzählt wurde: Nach dem Tod des Präsidenten Juan Peron (1974), der eigentlich gut war, kam seine Frau, Isabela Peron, an die Macht. Sie hatte allerdings nicht so viel Ahnung von Politik, und so kam es, dass das Militär die Macht übernehmen konnte (1976). Die Leute, die verschwanden, so wurde mir gesagt, waren die, die anders dachten, die etwas verändern wollten, die ihre Meinung gesagt haben und nicht stumm bleiben wollten.

Diese Leute wurden vom Militär entführt, gefoltert, und schließlich umgebracht. Bei schwangeren Frauen wurde die Geburt des Kindes abgewartet. Das Kind wurde von einem Soldaten adoptiert und die Mutter umgebracht. Deshalb kann man, wenn man zwischen 1976 und 1983 geboren ist und Zweifel an seiner Herkunft hat, bei der nationalen Gen-Datenbank in Argentinien nachfragen. Viele Verwandte einer verschwundenen Schwangeren suchen auch aktiv nach den verschwundenen Kindern.

Für diesen Acto bastelten wir die Silhouette eines Mannes und beschrieben diese mit den Namen aller Verschwundenen aus Rio Cuarto. Die Namen wurden vorgelesen, und wir antworteten mit „presente, presente y nunca ausente“ ( anwesend, anwesend und niemals abwesend) , um auszudrücken, dass die Personen nicht vergessen sind. Die Argentinier leugnen dieses dunkle Kapitel ihrer Geschichte also keinesfalls.

Buenos Aires

Da wegen dem „Dia de la memoria“ Feiertag war und damit langes Wochenende, fuhren wir zu Freunden meiner Familie nach Buenos Aires, der Hauptstadt Argentiniens. Dort haben die Autobahnen mehrere Spuren! Leider lief alles nicht ganz so wie geplant, denn wegen besagtem Feiertag am Freitag gab es in der Innenstadt eine riesige Demonstration, (gegen die Regierung, wie immer) und deshalb konnten wir an diesem Tag nichts machen. Am Samstag hatten meine Eltern dann geplant, die ganze 3-Millionen-Einwohner-Stadt anzuschauen. In einem einzigen Tag. Sie dachten auch, es reicht um 10 Uhr loszufahren. Dann hatten wir auch noch das Pech, dass meinem Vater ein Reifen platzte und wir erst um 11 los- und somit um 12 in der Innenstadt ankamen.

Auch wurde der Touri-Hop-on Hop-off Bus für eine gute Idee befunden. Wer hätte denn auch ahnen können, dass noch mehr Leute die gleiche Idee hatten und die Schlange dementsprechend lang war. So steigen wir um 13:30 Uhr in den Bus, doch der Audioguide war gerade kaputt und oben war kein Platz mehr frei. Deshalb habe ich nicht nur relativ wenig gesehen, ich habe auch nichts wirklich mitgekriegt. Wir sind auch nirgendwo ausgestiegen, weil es zu voll war.

Das Einzige, was ich am Ende richtig gesehen habe, ist la casa rosada (das rosa Haus), der Bundestag von Argentinien. Das Haus ist, Überraschung, rosa. Es steht vor dem Plaza de Mayo (Platz des Mais) , wo viele geschichtstraechtige Demonstrationen stattgefunden haben, so wie zum Beispiel las abuelas de la plaza de mayo ( Großmütter des Platz des Mais), die viele Monate lang immer und immer wieder auf diesen Platz kamen, da sie wissen wollten, was mit ihren schwangeren verschwundenen Töchtern und deren Kindern, also ihren Enkelkindern, passiert war.

Ich hatte mich vorher informiert und eine Führung im Casa rosada gebucht, deshalb habe ich wenigstens das gesehen. Abends waren wir dann bei einem Pferderennen auf der nationalen Pferderennbahn, denn mein Vater hat Anteile an einem Rennpferd. Ich habe auch gewettet ( mit 3 Pesos – 20 Cent), aber hatte leider kein Glück.

Mein Vater hat mir versprochen, dass wir nochmal nach Buenos Aires kommen, um ein Spiel der Boca Juniors anzuschauen, aber mein Vater sagt viel wenn der Tag lang ist. So wie in Deutschland die beiden größten Fußballvereine Dortmund und Bayern München sind, ist hier immer die Frage Boca o River? Die beiden größten Vereine, beide aus Buenos Aires, heißen nämlich Boca Juniors und River Plate. Da meine Familie für Boca ist, bin ich auch für Boca. Ich werde auch immer gefragt, nachdem Deutschland wegen der Weltmeisterschaft 2014 ausführlich beschimpft wurde (das werden uns die Argentinier nie verzeihen), ob ich für Bayern oder für Dortmund bin, doch dann erklär ich immer, dass mich Fußball nicht so sehr interessiert, aber dass ich wenn dann für Hoffenheim, den Verein aus meiner Heimatregion, bin. 

Dia de las Malvinas (02.04.)

Ein weiterer wunder Punkt der Argentinier: der Falklandkrieg. Im Jahre 1982 zog Argentinien in seinen bisher einzigen Krieg – gegen Großbritannien, einen Territorialkrieg um die Falklandinseln, auch Malvinas genannt. Präsident Galtieri begeisterte mit seiner berühmten Rede die Jugend des Landes auf besagtem Plaza de Mayo, für ihr Vaterland in den Krieg zu ziehen, und die von der Diktatur geschundene Jugend zog begeistert in den Krieg. Das Land hatte wieder Hoffnung. Ein berühmtes Zitat der Rede ist: Si quieren venir, que vengan! („Wenn sie [die Engländer] kommen wollen, dann sollen sie doch kommen!“). Doch die 1703 jungen Menschen hatten keinerlei Ausbildung erhalten und waren so hoffnungslos unterlegen. In den 73 Tagen, die der Krieg dauerte, starben 649 Argentinier, und meine Lehrerin meinte, dass noch mehr danach Suizid begangen haben. Sie meinte auch, dass das Thema lange vertuscht wurde, da Argentinien eine große Niederlage erlitten hatte.

Nach dem Krieg gehörten die Inseln zu Großbritannien. Später stimmten die Bewohner der Inseln selbst ab, zu welchem Staat sie gehören wollen. 99% stimmten für Großbritannien, doch Argentinien hat das Ergebnis nie anerkannt. Für Argentinier werden die Malvinas immer argentinisch sein, das gehört zum Nationalstolz. Nach einer Änderung der Bestimmungen der UN sind die Malvinas argentinisches Land, da das Meer offiziell noch argentinisches Staatsgebiet ist. Ich finde, die Malvinas sind argentinisches Land, doch die Bewohner sind Engländer.

Für den Acto diesen Tages zogen wir uns alle ein Argentinien-T-Shirt an und stellten die begeisterten Jugendlichen dar, die in den Krieg zogen. Danach bemalten wir uns die Hände mit roter Farbe, was das Blut der gefallenen Soldaten darstellen sollte. Diese streckten wir nach vorne und riefen Nunca mas! (Nie wieder!).

Man denkt vielleicht, dass die kleinen Inseln nahe der Antarktis nicht so wichtig sind, doch ich möchte nochmal betonen, dass sie für die Argentinier wirklich überaus wichtig sind und auf keiner Karte fehlen.

Ich möchte außerdem noch erzählen, wie stark die Jugendlichen hier ihre politische Meinung vertreten. In Deutschland, zumindest habe ich es so in Erinnerung, interessieren sich nicht besonders viele für Politik, man hat vielleicht eine Meinung zu dem einen oder anderen Thema, aber ich kenne jetzt keinen, der sich aktiv für eine Partei einsetzt. In meiner argentinischen Klasse dagegen wird regelmäßig Streit angefangen, weil sich einige den „Macrista“ (Anhängern der Partei des aktuellen Präsidenten Mauricio Macri) und andere den „Kirchnerista“ (Partei der vorherigen Präsidenten Nestor und Christina Kirchner) zurechnen.

Es ist aber keinesfalls eine gepflegte Unterhaltung über Politik, nein, der ganze Kurs fängt an zu schreien und lautstark seine Partei zu vertreten. Ein Mädchen wurde so dafür runtergemacht Kirchnerista zu sein, dass sie angefangen hat zu weinen. Christina Kirchner, die Ex-Präsidentin ist generell eher unbeliebt in Argentinien, da es unter ihr viel, bzw. noch mehr, Korruption gab. Sie selbst ist, soweit ich weiss, auch wegen Korruption angeklagt.

Des weiteren wollte ich noch erzählen, wie oft hier gestreikt wird, da irgendwie nie jemand die Regierung mag. Keiner mochte Kirchner, also wurde Macri gewählt, aber den mag jetzt irgendwie auch keiner. Meine Politiklehrerin meinte, das war mehr aus Protestwahl, um eben nicht mehr Kirchner zu wählen. Jedenfalls demonstrieren dauernd alle gegen Korruption und Arbeitslosigkeit. Die Lehrer streiken ca. Einmal pro Woche, aber die Lehrer an meiner Schule machen in letzter Zeit nicht mehr mit. Es streikt der öffentliche Transport, die Post, die Bank, alle. Vor ein paar Jahren hat sogar mal die Polizei gestreikt und es wurden zahllose Supermärkte ausgeraubt.

Quinceañera (15. Geburtstag)

Am Samstag war ich zum 15. Geburtstag der Cousine meiner besten Freundin eingeladen. Der 15. Geburtstag eines Mädchen ist in Argentinien etwas ganz besonderes, er symbolisiert dass das Mädchen jetzt eine Frau ist. Es ist üblich, einen Salon, einen DJ und einen Catering Service zu mieten und die Familie und engsten Freunde zum Abendessen einzuladen, also so 70 Leute. Es ist so ähnlich wie ein Egreso, denn so ab 1 beginnt die Party, zu der jeder kommen kann (der bezahlt).  Es wird auch ein professioneller Fotograf angeheuert. Die Quinceañera, also das Mädchen das 15. wird, kauft zu diesem Anlass extra ein Kleid, typischer weise im Prinzessinnen-style, das schnell mal 500-1000 Euro kosten kann. Es ist Tradition, dass das Mädchen in einer kleinen Zeremonie Kerzen an alle Personen die ihr wichtig sind vergibt, und dass der erste Tanz des Abends ein Walzer ist. Im Verlauf der Nacht gibt es natürlich auch Torte. Das Fest muss nicht zwingend am Geburtstag sein, viele feiern davor oder danach, der der Geburtstag selten auf einen Freitag oder Samstag fällt.

In den letzten Jahren hat es sich entwickelt, dass viele Mädchen , anstatt das Fest zu machen, auf eine Jugendreise nach Disneyland in Miami zu gehen. Manche finden, dass das Fest rausgeschmissenes Geld ist, ich finde es jedoch eine schöne Tradition und hätte gerne solch ein Fest gehabt.

Alltag

Der Herbst hat in Argentinien begonnen, und das lassen einen der Nieselregen und 5-10 Grad spüren. Der Schulalltag hat ebenfalls begonnen, und ich habe nun Philosophie als Hauptfach, so wie Mathe, Spanisch und Physik. Außerdem haben wir dieses Jahr Theater.

Mein Auslandsaufenthalt neigt sich nun schon langsam dem Ende zu, doch das realisiere ich noch nicht so richtig. Ich kann auf jeden Fall jetzt schon sagen, dass das schwierigste und schlimmste am ganzen Auslandsjahr ist, wieder zu gehen.

Ach ja, für alle die es interessiert: ab 20.07. bin ich wieder in Deutschland.

Liebe Grüße in die Heimat, Maike 

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