2019-11-24 10:18:00
Bericht #2 – Wo ist die Sonne?
Hier fängt es an, richtig Winter zu werden. An zwei Tagen in der Woche beginnt mein Unterricht um 8:15 und dauert bis 15:40. Das bedeutet, dass ich seit ungefähr einer Woche an diesen Tagen im Dunklen zur Schule fahre und im Dunklen nach Hause komme… Da merkt man schon, wie einen die Winterdepression überkommt. Außerdem: Wenn ihr Deutschen euch über kalte drei Grad beschwert, dann fragt erst mal mich. An einem normalen Tag ist es zwischen 0 und -5 Grad warm, denn es gibt Tage, an denen mal sich auch mal bei -10 Grad nach draußen trauen muss. Nicht so toll, wenn man zehn Minuten an der Bushaltestelle warten muss… Aber eigentlich bin ich schon halbwegs an die Kälte gewöhnt, ich laufe jedenfalls oft auch nur mit einer normalen Übergangsjacke herum statt der Skijacke, die ich vorher getragen hab. Und irgendwie mag ich das Ganze auch, denn dann kann man sich umso besser in eine Decke kuscheln und Tee trinken. Alles ist gleich viel gemütlicher (drinnen jedenfalls). Da Trondheim an der Küste liegt, gibt es hier mehr Regen als Schnee, trotzdem hat es am ersten Novemberwochenende zum ersten Mal geschneit. Es fühlt sich schon etwas seltsam und ungewohnt, aber gleichzeitig großartig an, so früh im Jahr durch den Schnee zu laufen.
Die Herbstferien Anfang Oktober dauerten eine Woche, die ich mit meiner Familie ganz typisch norwegisch in der Hütte verbracht habe. Es war ziemlich kalt draußen, aber der Ofen war praktisch die ganze Zeit an. Mit einem guten Buch und einer Tasse Tee lässt es sich schon leben ? Wir sind aber auch viel draußen gewesen, zum Beispiel haben wir eine relativ lange Tour auf einen nahen Berg gemacht, wo schon ziemlich viel Schnee lag. Außerdem haben wir viele Verwandte meiner Gastmutter besucht, da sie in Tydal aufgewachsen ist. Einer ihrer Brüder ist an die schwedische Grenze gezogen und das haben wir genutzt, um in Schweden einkaufen zu gehen. Das ist etwas typisch Norwegisches, denn viele Norweger gehen in die Läden an der schwedischen Grenze zum Einkaufen, da dort vieles sehr billig ist. Es gibt sogar einen eigenen Begriff dafür (Harrytur). Später sind wir mit vielen Süßigkeiten und Taco-Zutaten zurückgefahren.
Kurz bevor wir in die Ferien gefahren sind, ist mir mein Handy in die Toilette gefallen. Für mich war es nicht so ein großes Problem, ich musste mir bloß ein neues Handy aus Deutschland schicken lassen, was meine Eltern einigen Aufwand gekostet hat (danke dafür ?), aber ich habe es überlebt ohne Snapchat und WhatsApp. Aber wenn ich norwegischen Schülern von meinem Missgeschick erzählt habe, haben die meisten geschockt reagiert und meinten, sie selber würden das nie schaffen. Das ist etwas, was mir schon sehr früh aufgefallen ist: Norweger sind viel am Handy (natürlich kann man das nicht generalisieren, aber es ist definitiv mehr als in Deutschland). Das liegt wahrscheinlich daran, dass viel digital ist oder man in der Schule freies WLAN hat. Da ist es schon verlockend auch während dem Unterricht auf Snapchat unterwegs zu sein. Jedenfalls hat mir meine Familie ein Paket geschickt, mit Handy, Kamera, Süßkram, Fotos und Briefen. Gerade Kinderriegel haben mir irgendwie gefehlt, auch wenn norwegische Schokolade wirklich gut ist. Hier gibt es eine Zuckersteuer, die Schokolade oder Gummibärchen im Preis meistens verdreifacht, deshalb ist meine Gastfamilie (und ich) auch verständlicherweise sparsam, wenn wir lørdagsgodteri kaufen.
Ich war in einem Norwegisch-Kurs mit allen anderen Austauschschülern in Trondheim, was mir eher geholfen hat, mehr Leute kennenzulernen als dass mein Norwegisch besser wurde. Der Unterricht war für diejenigen konzipiert, die fast gar keine Kenntnisse in der Sprache haben, während sich manche andere und ich eher gelangweilt haben. Trotzdem habe ich erst nach dem Kurs richtig angefangen, Norwegisch zu sprechen, weil ich mich einfach mehr daran gewöhnt habe und auch nicht mehr so sehr darüber nachgedacht habe, ob das jetzt gut klingt oder ob man meinen Akzent sehr heraushört.
Ich habe gemerkt, dass es mir hilft, mehr mit Leuten in Kontakt zu kommen, wenn ich Norwegisch spreche. Das war mir vorher irgendwie auch schon klar, aber ich hätte nicht gedacht, dass es so einen großen Unterschied macht. Es reicht auch schon zu sagen, dass man mit mir Norwegisch sprechen kann, und ich versuche mein Bestes. Manche sind sogar so eifrig und wollen die einfachsten deutschen Sätze lernen, dass ich mir die halbe Mathestunde „Ich heiße Nora und ich bin fumfschan Jahre alt“ anhören muss.
Ich denke der Grund dafür ist, dass die Norweger merken, dass ich an ihnen und ihrer Kultur interessiert bin, wenn ich es auf Norwegisch versuche. Jeder freut sich, wenn ich in seiner Sprache spreche und alle loben mich ständig dafür, wenn ich einen ganzen Satz ohne Fehler und sogar auf trøndersk herausgebracht habe.
Eines meiner Highlights in den letzten Wochen war ein AFS-Camp, das zweite nach meiner Ankunft. Alle Austauschschüler aus Trondheim und Umgebung (etwa zwanzig) haben das Wochenende mit ein paar Betreuern in einer Hütte in Trondheim verbracht. Wir haben über unsere Erfahrungen geredet und sehr viel Spaß gehabt. Beim ersten Camp habe ich manche auch schon gesehen und kurz mit ihnen geredet, aber man hatte keine Zeit, um sich richtig zu unterhalten. Deshalb war ich sehr froh, so großartige Menschen besser kennenzulernen.
An zwei anderen Wochenenden habe ich mit meinen Gastgeschwistern an einem Projekt teilgenommen, wo sich ein paar Schüler, die ein Instrument spielen, zusammenfinden und proben. Am letzten Tag gab es dann ein Konzert. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, weil es wieder eine Herausforderung gab, denn die Stücke in meiner Schulband sind schon ziemlich einfach. Und ich konnte natürlich mehr Leute kennenlernen.
Bald fängt die Adventszeit an und darauf freue ich mich schon sehr. Dann darf man endlich Weihnachtslieder hören, ohne schief angeschaut zu werden… Außerdem bin ich sehr gespannt, wie Trondheim weihnachtlich geschmückt aussieht und ob Weihnachten sehr anders ist als in Deutschland. Denn was ich bis jetzt gehört habe, ist tatsächlich ziemlich ähnlich.
Um diesen Bericht zu beenden, möchte ich sagen, dass ich mich erstaunlich gut hier eingelebt habe. Ich hoffe, die Zeit vergeht nicht mehr so schnell wie sie es gerade tut. Ich versuche, jeden Moment wertzuschätzen, denn man investiert zu viel, um seine Zeit im Ausland zu verschwenden. Natürlich gibt es gute Tage und nicht so gute, aber das ist ganz normal und gehört ab und an mal dazu. Denn man lernt am besten durch Fehler, und außerdem werden die schönen Dinge umso schöner!
Hilsen fra Norge, Liv