2015-11-03 15:06:00
Bericht #3
Hier wird Teilen und Freundlichkeit gelehrt!
Hallo meine Lieben! Über 2 Monate bin ich schon in diesem neuen, wunderbaren Land und es wurde wieder einmal Zeit für einen Bericht, denn es gibt so viel Neues zu erzählen.
Ja, es ist wahr. Wir Deutschen sind einfach unfreundlich. Vor allem im Vergleich mit Südamerikanern. Freundlichkeit steht hier wirklich an erster Stelle, egal ob in der Schule, am Arbeitsplatz oder auch nur auf der Straße: gegrüßt wird IMMER. Wer nicht grüßt – besonders als junge Person –, gilt als schlecht erzogen. Manchmal geht diese „Freundlichkeit“ allerdings ein bisschen zu weit, denn es ist nicht gerade selten, dass Männer mich auf der Straße mit „¡Oye guapa, que lindos ojos!“ also zu Deutsch „Hey, Hübsche, was für schöne Augen“ rufen oder gepfiffen wird. Meine Freundinnen machen sich darüber meist lustig, während es für mich eher nur unangenehm ist, aber daran muss man sich eben gewöhnen.
Was ebenfalls hier zum Thema Freundlichkeit gehört, ist Teilen. Teilen wird hier sehr groß geschrieben; alles wird geteilt: vom Bier, übers Brot bis zu Lutschern (ja, Lutscher!), auch wenn derjenige, der das Essen eigentlich gekauft hat, am wenigsten bekommt, ist das keinesfalls ein Problem, solange jeder der fragt auch kriegt. Gegessen wird hier dreimal am Tag. Morgens, während der Schule besteht mein Frühstück meist aus Kakao, Pan de Sal, also eine Art Brötchen, mit Käse und frischem Obst wie Papaya, Banane oder Ananas. An den Wochenenden wird dann oft „Verde“ gemacht: grüne Banane in Scheiben geschnitten und dann zum Frittieren in die Pfanne geworfen und Salz drüber gestreut. Davon gibt es auch eine süße Variante namens „Maduro“, dann eben mit gelben Bananen.
Allgemein mögen Ecuadorianer Salz. Egal ob Popcorn oder grüne Mango – alles mit Salz. Zu Mittag gibt es meist Suppe, mal Gemüse, mal Käse und natürlich Reis. Hier wird wirklich alles mit Reis gegessen. Egal ob Nudeln, Fleisch oder Fisch, Reis passt zu allem. Mein Abendessen ist ähnlich wie das Mittagessen: Reis, Suppe und Fleisch oder Fisch. Manchmal gehen wir allerdings abends auch Essen. Das ist zum Beispiel eine Sache, in die ich mich so sehr verliebt habe: die ganzen kleinen Restaurants am Straßenrand mit unglaublich leckerem Essen, auch wenn man manchmal die Hygiene wirklich anzweifeln muss. Bei mir zu Hause wird „traditionell“, also mit Löffel gegessen. Was mit dem Löffel nicht geht, geht dann mit den Händen. Klar, Gabel und Messer gibt es auch, kommen aber eher seltener zum Einsatz. :D Gegessen wird hier allgemein unglaublich viel, aber naja, hier liegen die Schönheitsideale nicht unbedingt auf einer perfekten Figur. Ein paar Kilos zuviel sind hier absolut nichts Schlimmes! ;)
In meinem ersten Bericht hatte ich bereits den Verkehr angesprochen, doch ich finde diesem Thema gebührt mehr Aufmerksamkeit. Da meine Familie kein Auto besitzt, fahren wir entweder Bus oder nehmen uns ein Taxi. Aber zuerst zum Bus: Busfahren ist hier anders. Es gibt zwar Haltestellen, sogenannte Paradas, aber wenn man den Bus nehmen will, stellt man sich einfach an den Straßenrand und gibt dem Fahrer ein Zeichen, dass man einsteigen will und der Fahrer hält. Das Aussteigen funktioniert ähnlich. Will man aussteigen, ruft man „Parada“ oder „pare“ zum Busfahrer und dieser hält. Es gibt hier in Guayaquil zwei Arten von Bussen. Bus und Metrovia. Beide kosten pro Fahrt 25 Cent, egal wohin man fahren möchte. Der Unterschied zwischen den beiden ist, dass die Metrovia schneller voran kommt, da diese sogar ihre eigene Fahrspur hat. In die normalen Busse steigen oft auch die fliegenden Händler ein. Diese steigen ein und preisen kurz ihre Ware an, meistens Süßes oder Säfte und Wasser. Aber manchmal sind auch Comedians oder Musiker dabei, die sich gut anhören lassen. Da allerdings Bus und Metrovia nicht immer fahren, kommt es vor, dass auch mal das Taxi dran glauben muss. Da ist es nicht selten, dass wir zu acht in einem Fünfsitzer fahren. Straßenmarkierungen existieren zwar, aber wirklich von Bedeutung sind sie hier nicht; gefahren wird da, wo gerade Platz ist. Ein meiner Meinung nach riesiges Chaos, aber es scheint zu funktionieren. Doch zwischen diesem Chaos, also immer an einer roten Ampel nutzen Straßenkünstler ihre Chance, um sich ein bisschen Geld zu verdienen. Egal, ob Feuerjongleur oder Ballkünstler, man sieht hier wirklich alles. Und da gibt man auch gerne mal ein paar Cents!
Vor circa einem Monat, am 9.10., hat Guayaquil 195 Jahre Unabhängigkeit gefeiert, mit einer riesigen Parade, bei der so gut wie alle Colegios mitgelaufen sind. Jede mit eigener Marschkapelle und Cheerleadern. Es war unglaublich eindrucksvoll! Überall in Guayaquil wurde ausgiebig gefeiert und ein aufwendiges Feuerwerk gab es auch. Zu der guten Stimmung kam dann noch, dass das Fußballspiel Ecuador gegen Argentinien an diesem Abend von Ecuador gewonnen wurde. Dem Feiern stand nichts mehr im Weg!
Leider sind meine Nachmittage momentan sehr langweilig. Schule, Essen, Schlafen, Essen, Schlafen. Allerdings ist das leider hier so. Fragt man andere, was sie vorhaben, heißt es sehr oft einfach nur: schlafen. Aber dennoch gibt es Tage, die ich mit meinen Freunden verbringe, die mir nach so kurzer Zeit schon so ans Herz gewachsen sind, dass sich allein ihretwegen mein Auslandsjahr schon gelohnt hat. Im Allgemeinen kann ich wirklich kaum glauben, dass schon 1/5 meiner Zeit abgelaufen ist. Es fühlt sich bei Weitem nicht so lange an, aber die Zeit fliegt. Wenn ich mir überlege, dass nächsten Monat schon Weihnachten ist und dann auch schon bald 2016, wird mir ganz komisch.
El Dia De Los Muertos
„El dia de los muertos“ oder „Der Tag der Toten“ ist ein nationaler Feiertag am 1. November. Zu diesem Anlass geht jeder auf den Friedhof, um seinen verstorbenen Lieben einen Besuch abzustatten, das Grab sauber zu machen und Blumen zubringen. Die Blumen werden vor dem Friedhof verkauft in allen Varianten, aus Plastik, Schaumstoff oder ganz echt. Wenn man an dem Grab angekommen ist, klopft man dagegen, um dem Verstorbenen zu signalisieren, dass man anwesend ist und man erzählt ihm/ihr, was man so auf dem Herzen hat. Falls es zu hoch gelegen sein sollte, wird einfach einer der vielen „Leiter-Männer“ gerufen, der dann für ein paar Cents seine Leiter zur Verfügung stellt. Die Grabanlangen sind meist wunderschön, in Handarbeit verziert, mit Bildern von Jesus Christus oder anderen Heiligen und Widmungen von Angehörigen. Obwohl der Friedhof wahrlich riesig ist, hatte ich das Gefühl, das alle 3,3 Mio. Menschen des Großraums Guayaquil auf einmal hier waren; es ging kaum vorwärts oder rückwärts. Auf diesem Friedhof liegen auch ein Präsident und seine Frau, die bei einem Flugzeugabsturz 1981 ums Leben kamen. Nur in der Zeit um den Dia de los muertos gibt es ein spezielles Getränk namens „Colada Morada“, welches eine Art Püree ist aus Brombeere, Erdbeere, Ananas und Cassis (Schwarze Johannisbeere) ist und heiß oder kalt genossen werden kann. Dazu isst man meist Guaguas de Pan, ein süßes Brot in Form eines Menschen, mit Zuckerguss verziert.
Meine „Kopfschüttelmomente“
Auch wenn zwei Monate schon genug Zeit ist, um sich an die Unterschiede zu gewöhnen, gibt es immer noch Momente in denen ich einfach nur den Kopf schütteln kann. Zum einen wäre da die Salud-Stunde („Gesundheitspflege“), die ich wohl mein ganzes Leben nicht vergessen werde. Es fing damit an, dass ich montags in meiner zweiten Schulwoche gesagt bekam, ich müsste Kanülen, Salzlösung und Injektionsnadeln kaufen. Freitags sollte ich dann auch erfahren wieso: Die Kanülen und Injektionsnadeln waren zum Üben. Für uns. An unseren Mitschülern. Ich glaube in dieser Stunde habe ich es nicht geschafft, meinen Mund wieder zu schließen und meinen Kopf vom dauerhaften Schütteln abzubringen. Ich wurde mehrfach gefragt, ob ich nicht auch mal probieren möchte einen Zugang zu legen(!), habe mich aber vehement geweigert, da ich sowieso nicht so gut zum „Thema Nadeln“ stehe. Mein Widerstand wurde nur mit Belustigung quittiert. Das alles wäre in Deutschland unvorstellbar.
Zum anderen steht auch der Ausflug in das Zentrum für Gesundheit auf meiner „Liste der unfassbaren Momente“. Gerade als wir gehen wollten, kam eine ältere Frau mit einem kleinen Kätzchen (nicht älter als zwei Wochen) auf dem Arm auf uns zu und fragte uns grade heraus, ob wir nicht die Katze haben wollen. Daraufhin hat ein Klassenkamerad doch tatsächlich „Ja“ gesagt. Nachdem die Frau dann auch versprach, das Kätzchen habe keinerlei Krankheiten und sei sogar entwurmt, war er stolzer neuer Besitzer von „Charlie“. Charlie hat uns danach noch in einen Food-Court und in den Unterricht begleitet. Ein weiteres Mal konnte ich nur den Kopf schütteln, als meine Lehrerin im Unterricht anfing, die Augenbrauen einer Schülerin mit einer Rasierklinge zu „formen“, während die anderen sich mit ihren Schminkmäppchen vergnügten...¡QUE VIVA ECUADOR!
Aber ich möchte jetzt auch die Gunst der Stunde nutzen und ein Vorurteil über das Auslandsjahr an sich aus dem Weg räumen: NEIN, ich bin nicht die ganze Zeit nur am Strand! Ich muss in die Schule gehen. Mittlerweile eben auch an Samstagen, auch wenn das Lernniveau deutlich unter dem deutschen liegt. Ich liege nicht nur faul auf meiner Haut und mache gar nichts. Momentan muss ich zwar noch keine Hausaufgaben machen, Vorträge auf Spanisch stehen aber dennoch auf dem Programm, die auch ganz gut klappen. Na gut, kleine Fauxpas passieren immer mal. Wenn ich z.B. gefragt wurde, aus welchen Ländern denn Austauschschüler derzeit in Ecuador sind, habe ich meistens geantwortet: „…por ejemplo sucia“ also „…zum Beispiel schmutzig“, da die spanische Übersetzung für Schweden, die Schweiz und eben „schmutzig“ sehr ähnlich ist: Suecia = Schweden; Suiza = Schweiz.
Damit verabschiede ich mich mal, freue mich schon darauf euch von meine nächsten Erlebnissen zu erzählen! Bis dahin.
¡Hasta Luego! Liebe Grüße zurück in die Heimat, Nora